[Rede von Stadtrat Dr. Carsten Labudda, DIE LINKE, vom 28. Februar 2024]
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
Am heutigen 28. Februar vor 91 Jahren, also 1933, flohen der große deutsche Dramatiker Bertold Brecht und seine Muse Helene Weigel vor den Nazis in Exil. Zu lange ließ das demokratische Deutschland die Feinde der Demokrat gewähren in der irrigen Annahme, Faschisten seien durch Zugeständnisse und Einbindung von ihrem zerstörerischen Tun abzuhalten.
Auch heute werden oft Parallelen gezogen zu den Jahren vor 1933. Und zumindest der eklatante Rechtsruck in unserer Gesellschaft in den letzten Jahren muss uns alle hier mit Sorge erfüllen. Umso erfreulicher ist der Umstand, dass die Anständigen in den letzten Wochen zu Millionen auf die Straßen gegangen sind in Deutschland, auch bei uns in Weinheim. Es muss uns alle kümmern, dass Demokratie und die Unteilbarkeit der Menschenrechte feste Pfeiler unserer gemeinsamen Grundordnung bleiben und gegen alle Versuche, auch nur an ihnen zu kratzen, auf ganzer Breite verteidigt werden.
Zu diesen Grundpfeilern unserer gesellschaftlichen Ordnung gehört seit Anbeginn des Grundgesetzes die kommunale Selbstverwaltung. Die Menschen in den Städten und Dörfern sollen ihre Angelegenheiten selbstständig miteinander regeln. Dazu brauchen wir eine lebendige kommunale Demokratie. Die haben wir in Weinheim. Wir haben sowohl die demokratisch gewählten Gremien als auch eine in vielen Belangen aktive Bürgerschaft, die sich einbringt und mit sich und uns um Lösungen für drängende Fragen ringt. Vielen Dank dafür unseren Bürgerinnen und Bürgern.
Zu kommunalen Selbstverwaltung gehört aber auch, dass die Kommunen über eine hinreichende materielle und finanzielle Ausstattung verfügen, um die demokratisch gefassten Beschlüsse umsetzen zu können. Genau hier aber müssen wir seit mittlerweile mehreren Jahrzehnten andauernden Prozess der schleichenden Aushöhlung zu Kenntnis nehmen. Immer mehr und immer neue Aufgaben werden den Kommunen zugewiesen, von einer dem entsprechenden finanzielle Kompensation kann aber keine Rede sein. Lassen sie mich das an einigen aktuellen Beispielen darstellen.
(1) Jede Kommune hat die Aufgabe, ihre Bürgerinnen und Bürger vor Obdachlosigkeit zu schützen. Idealerweise durch ein ausreichendes und bezahlbares Angebot an Wohnraum oder zur größten Not mit hinreichenden Unterkünften. Die Bundesregierung sollte an dieser Stelle den größten Batzen schultern. Dem entsprechend wurden wir nach 16 Jahren Stillstand unter der CDU von der Ampel mit dem Versprechen beglückt, sie wolle jährlich 400.000 Wohnungen schaffen, ein Viertel davon als Sozialwohnungen. Wo sind diese Wohnungen? Nichts kommt da für uns in Weinheim raus, und so sind wir als Kommune gezwungen, mit privaten Investoren über Verträge zu feilschen, um wenigstens einen Teil des benötigten Wohnraums realisieren zu können. Dass dabei oft nicht alles glatt läuft, haben wir leidvoll erfahren müssen. In den Allmendäckern sprang ein Investor ab. Im Gebiet der alten Kreispflege westlich Hauptbahnhof dürfen Investor, Stadt und Kreis sich einigen, wer Grund und Boden entgiftet, während der offensichtliche Verursacher auf der anderen Seite der Weschnitz seine Hände in Unschuld baden kann. Ich will es ganz offen sagen, um der Misere am Wohnungsmarkt beikommen zu können, brauchen wir eine Bundesgesetzgebung, die Themen wie Wohnbauförderung und das Instrument der Wohnungsgemeinnützigkeit nach vier Jahrzehnten endlich wieder an den Start bringt. Das werden wir alleine kaum schultern können. Ebenso muss aber der Grundsatz unseres Grundgesetzes: „Eigentum verpflichtet.“ wieder mehr Geltung erhalten, wozu wir als Linke eine Zweckentfremdungssatzung vorgeschlagen haben und leider weiterhin werden vorschlagen müssen, um von städtischer Seite Leerstand und Umwandlung von Wohnraum überhaupt begegnen zu können.
(2) Nicht nur Einheimische brauchen ein Dach über dem Kopf. Auch die geflüchteten Menschen, die zu uns kommen, müssen wir unterbringen. Wir tun das in Weinheim leidlich erfolgreich seit Jahren. Allerdings bekommen wir unsere etablierten Unterkünfte kaum frei für diese Aufgabe, weil die, die noch immer drin leben müssen, nichts erschwingliches finden. Also sind wir gezwungen, weiteren Wohnraum zu akquirieren und zu schaffen. Wieder zwingend Bund und Land uns zu Millionen-Investitionen, um dem gerecht zu werden, leisten aber keinen angemessenen Beitrag.
(3) Ein dritter großer Posten, der uns umtreibt, ist die Umsetzung des Rechtsanspruchs aller Kinder auf einen Betreuungsplatz. Wir nutzen in Weinheim alle verfügbaren Ressourcen dafür, ohne dass wir von Bund oder Land ausreichende Mittel dafür bekommen. Auch hier werden die Kommunen und die Familien der Kinder mit erklecklichen Kosten alleine gelassen. Dass wir uns in Weinheim angesichts der Fehlleistung unserer Landesregierung nicht zu einer Einkommensstaffelung der Gebühren durchringen konnten, obwohl die Fachleute im Kinder- und Jugendbeirat dieser sehr offen gegenüber standen und stehen, sehe ich im Übrigen als einen politischen Fehler an, der insbesondere auf Kosten der ärmeren Familien in der Stadt geht.
(4) Und einen vierten und letzten Posten will ich an dieser Stelle erwähnen, der bei der Sicht auf unseren Haushalt nicht sofort auffällt. Wir alle hier im Hause und im ganzen Rhein-Neckar-Kreis wollen eine gute wohnortnahe Gesundheitsversorgung. Dafür haben wir hier in Weinheim ein öffentliches Krankenhaus, die Kreispflege und ein medizinisches Versorgungszentrum der kreiseigenen GRN. Als ich im Stadtrat und im Kreistag neu war, da ging sich das Jahresergebnis mehr oder weniger aus. Doch Jahr für Jahr gingen unsere öffentlichen Gesundheitseinrichtungen Stück für Stück ins Minus aufgrund einer politisch in Berlin und Stuttgart beschlossenen Entwicklung, die kleine Krankenhäuser in der Fläche systematisch gegenüber den großen Maximalversorgern benachteiligt. Inzwischen wird über den Haushalt des Rhein-Neckar-Kreises eine Defizitausgleich von über 20 Millionen Euro an die GRN geleistet, Geld, dass über die Kreisumlage von den Städten und Gemeinden bezahlt wird. Allein Weinheim ist da mit runden 1,5 Millionen Euro beteiligt.
All dies zeigt sehr eindrücklich, wie es kommt, dass Weinheim so wie viele andere Kommunen mit einem Minus von 16 Millionen Euro plant. Und hätten wir nicht so exorbitant viele liquide Mittel in der Vergangenheit angespart, wäre es uns nicht möglich, im Laufe des Jahres an die 50 Millionen Euro zu investieren, in die Sanierung der DBS-Sporthalle und anderer Sportstätten, des Victor-Dulger-Bades, des Kanalnetzes und der Verkehrswege, in den Ausbau der Kinderbetreuung, den Bau von Unterkünften, den Beginn der Wärmewende und vieles andere mehr. Wir tun, was wir nur können, um unsere Stadt lebenswert zu halten und zukunftsfest zu machen. Dennoch werden wir in drei Jahren unser Pulver soweit verschossen haben, dass wir unter die gesetzliche Mindestliquidität rutschen. Ich kann mich persönlich nicht erinnern, wann wir je an diesem Punkt waren.
Wo Bund und Land versagen, müssen wir unsere kleinen Stellschrauben nutzen, die wir haben. Darum hat die Linke eine Abgabe auf Einwegverpackungen vorgeschlagen, die nun in den Ausschüssen präzisiert werden soll. Tübingen verdient gut 700.000 Euro pro Jahr damit und sorgt zugleich für mehr Sauberkeit in der Stadt. Wenn wir an das Umfeld z.B. vom Eis-Vannini oder vom McDonald’s im Sommer denken, dann können wir alle nur hoffen, dass wir substantiell vorankommen bei dem Thema.
Herr Oberbürgermeister,
Wir haben auch noch eine Hausaufgabe aus dem letzen Jahr offen. Jeder weiß um den Fachkräftemangel, der nicht nur Industrie und Handwerk sondern auch die öffentlichen Verwaltungen schwer trifft. Wir Linken haben deshalb letztes Jahr einen hilfreichen und preiswerten Vorschlag gemacht. Praktika, insbesondere längerfristige Pflicht- und Vollzeitpraktika, sollen endlich eine Vergütung erfahren, um beim Kampf um die besten Köpfe früh in die Pole Position zu kommen. Sie haben uns versprochen, dass dieses Thema im Rahmen eines Personal-Gesamtkonzeptes berücksichtigt werden soll. Wegen des Wechsels an der Spitze des Personal- und Organisationsamtes verzögert sich das Konzept, aber ich freue mich darauf, wenn wir im Laufe des Frühjahres etwas Debattenfähiges vorgelegt bekommen. Wir halten das für sehr wichtig, um den großen Defiziten wenigstens etwas entgegen zu wirken: Überstundenberge in Verwaltung und Bauhof, bei der Kinderbetreuung die Zusammenlegung von Gruppen und Verkürzung von Öffnungszeiten, Verzögerungen bei der Entwicklung von Projekten. All das sind Umstände, die wir überwinden wollen und müssen, ob Berlin und Stuttgart uns hängen lassen oder nicht.
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
Wir stehen vor großen Herausforderungen, die wir annehmen. Wir werden als Linke weiterhin genau darauf schauen, dass Weinheim seinen Betrag beim klimagerechten Umbau der Stadt leistet und dabei die soziale Dimension nicht aus den Augen verliert.
Vielen Dank an die Bürgerinnen und Bürger für ihr großes Engagement, an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadt, die unsere Beschlüsse umsetzen dürfen, die Kolleginnen und Kollegen dieses Gremiums für die konstruktiven und produktiven Auseinandersetzungen um den besten Weg für unsere Stadt und last but not least die Journalistinnen und Journalisten, die uns immer wieder genau auf die Finger schauen. Sie alle werden auch weiterhin dringend gebraucht, denn Demokratie ist kein Zuschauersport sondern lebt vom mitmachen. Dafür Ihnen allen herzlichen Dank.
Dr. Carsten Labudda
DIE LINKE im Weinheimer Stadtrat